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Förderung der (gemeinschaftlichen) Selbsthilfe

«Es ist noch viel Sensibilisierungsarbeit nötig»

Selbsthilfe ist ein wichtiger Bestandteil des Gesundheits- und Sozialwesens. Auch psychiatrische Institutionen nutzen das Potential der Selbsthilfe als Ergänzung zu medizinischen Angeboten. Triaplus fördert das Konzept der Selbstverantwortlichkeit im stationären und ambulanten Bereich.

Für psychisch Erkrankte und ihre Angehörigen können Selbsthilfeangebote eine wertvolle Unterstützung sein. Es gibt ganz verschiedene Formen der Selbsthilfe, wobei Selbsthilfegruppen am bekanntesten sind – schweizweit wurden bereits über 2'800 Gruppenangebote registriert. Bei rund einem Drittel aller Themen geht es um psychische Erkrankungen, was zeigt, dass diese Angebote ein wichtiger Beitrag für die Gesundheitsversorgung sind. In einer Selbsthilfegruppe vermitteln sich Betroffene gegenseitig Zugang zu Informationen über ihre Erkrankung, deren Behandlung und über die Bewältigung der Herausforderungen im Alltag. Viele erleben dort Halt und das Gefühl des Verstanden-Werdens, ohne sich erklären oder rechtfertigen zu müssen.

Selbsthilfefreundliche Klinik

Die Klinik Zugersee setzt sich aktiv für die gemeinschaftliche Selbsthilfe ein. Sie fördert Selbsthilfeangebote als Ergänzung zu einem stationären Aufenthalt und als Unterstützung bei der Nachsorge der Patienten. Seit Herbst 2023 ist sie Teil des nationalen Projekts «Gesundheitskompetenz dank selbsthilfefreundlicher Spitäler» der Stiftung Selbsthilfe Schweiz. Das Projekt ist mit dem Ziel verbunden, per Januar 2025 die Zertifizierung als selbsthilfefreundliche Klinik zu erhalten. Dafür arbeitet die Klinik eng mit den kantonalen Selbsthilfezentren von Uri, Schwyz und Zug sowie den regionalen Selbsthilfegruppen zusammen. Patienten und Angehörige lernen so die gemeinschaftliche Selbsthilfe bereits während eines stationären Aufenthalts kennen und können sie unterstützend in ihrem Umgang mit Erkrankungen nutzen. Den bisherigen Verlauf schätzt Michael Rufer, Chefarzt der Klinik Zugersee und Initiator des Projektes, positiv ein: «Wir sind gut gestartet und aktuell mittendrin. Vieles hat schon begonnen, anderes wird demnächst angepackt. Es gibt wenig Hürden und alle Beteiligten sehen schnell den Nutzen des Projektes, was sehr motivierend ist.»

Ein zentraler Aspekt des Projekts sei die Bekanntmachung der bestehenden Angebote, sagt Manuela Bigall. Sie ist Sozialarbeiterin in der Klinik Zugersee und eine der Ansprechpersonen des Projekts: «Ich kümmere mich um das Informationsmaterial, koordiniere zwischen der Klinik und den Selbsthilfezentren und organisiere Informationsanlässe. Unser Ziel ist, das Thema Selbsthilfe über alle Berufsgruppen noch mehr zu etablieren. Dafür werde ich zwischendurch bei den Morgenrunden auf den Stationen oder bei unseren Angehörigenabenden reinhören und über die Angebote informieren, die es gibt. Bei Bedarf unterstütze ich auch bei der Vernetzung.»

Ebenfalls im Projektteam ist ihre Kollegin Milena Uhlemayr. Sie arbeitet als Programmleiterin psychische Gesundheit bei der Triaplus-Fachstelle gesundheit schwyz und koordiniert die Kontaktstelle Selbsthilfe im Kanton Schwyz. Im Klinik-Projekt vertritt sie deshalb das Selbsthilfezentrum Schwyz. Daneben sind auch das Zuger und das Urner Selbsthilfezentrum involviert. «Jedes Zentrum ist für die Förderung und Vernetzung ihrer regionalen Selbsthilfegruppen zuständig. Sie dienen als Beratungsstelle und unterstützen bei Neugründungen», erklärt Milena Uhlemayr. Für das Projekt prüft sie, bei welchen Themen und Anlässen Selbsthilfegruppen aktiv eingebunden werden können; etwa bei der Weiterbildung für Assistenzärztinnen und -ärzte. «Damit verfolgen wir das Ziel, Selbsthilfe auch strukturell zu verankern und einen niederschwelligen Zugang zu den verschiedenen Angeboten zu bieten.»

Wirksamkeit der Selbsthilfe

Nicht alle Patienten reagieren positiv, wenn Selbsthilfegruppen zur Sprache kommen. Viele seien anfangs skeptisch und haben Vorbehalte, weiss Manuela Bigall: «Einige reagieren ablehnend, weil sie ihre Probleme nicht in einer Gruppe thematisieren möchten, Hemmungen haben, sich zu öffnen oder glauben, dass da nur gejammert wird.» Zugleich ist bekannt, dass Selbsthilfeangebote wirksam sind. Aus der Forschung weiss man, dass die Teilnahme in einer Selbsthilfegruppe psychische Belastungen reduzieren kann und die Erfahrung, selbst etwas tun zu können, positive Auswirkungen hat: Das Wohlbefinden steigt und das Gefühl des Alleinseins nimmt ab. Dank des Erfahrungsaustauschs mit Menschen in der gleichen Lebenssituation können viele besser mit ihrer Erkrankung umgehen – die Gesundheitskompetenz der Betroffenen wird gestärkt und zugleich ihr soziales Leben unterstützt.

Auch Therapeuten profitieren davon, dass zusätzlich zur Behandlung ein weiteres Format existiert. Häufig wird die Therapie einfacher, weil sich Betroffene mehr mit ihrem Problem auseinandersetzen. Dass solche Angebote bereits während eines Klinikaufenthalts vorgestellt werden können, sei eine gute Gelegenheit, sagt Milena Uhlemayr: «Gewisse Patienten haben zum Zeitpunkt des Austritts vielleicht keinen Bedarf an Selbsthilfe, sie haben jedoch von der Möglichkeit einer Selbsthilfegruppe erfahren und können somit auch Jahre später auf dieses Wissen zurückgreifen und sich Hilfe in einer Selbsthilfegruppe holen.»

Persönlich vs. digital

Keine Selbsthilfegruppe ist wie die andere und nur wenige wissen, dass ein Treffen auch draussen, digital oder in einem Café möglich ist. Bei vielen komme vor allem der ungezwungene Austausch in einer Gruppe gut an, so Milena Uhlemayr: «Es gibt Gruppenmitglieder, die fühlen sich freier, weil kein Therapeut dabei ist und alle Teilnehmenden gleich verantwortlich sind. Wiederum andere bevorzugen einen möglichst kleinen Rahmen oder nutzen lieber digitale Angebote wie Online-Video-Selbsthilfegruppen oder Selbsthilfe-Apps.» Ein recht neues Angebot sei die App upway, eine Plattform, die Hilfe bei psychischen Belastungen und Depressionen verspricht. «Ich bin gespannt, ob sich solche Angebote in Zukunft etablieren werden.»

Digitale Angebote haben zum Beispiel für Leute mit eingeschränkter Mobilität oder schwerer psychischer Beeinträchtigung einen grossen Vorteil. Auf der anderen Seite seien solche Angebote aber weniger verbindlich und können ein persönliches Treffen nicht ersetzen, sagt Milena Uhlemayr. Auch Manuela Bigall machte die Erfahrung, dass trotz Digitalisierung noch viele Menschen den direkten Austausch mehr schätzen. «Auch heutzutage möchten viele Menschen unterschiedlichen Alters am Telefon über ihre Probleme sprechen, zum Beispiel über die Nummer 143 der Dargebotenen Hand. Es ist einfach ganz etwas anderes, eine reale Stimme zu hören, als in einer anonymen Online-Gruppe teilzunehmen.»

(Re-)Zertifizierung

In den kommenden Monaten organisiert das Projektteam weitere öffentliche Informationsanlässe, um auf die gemeinschaftliche Selbsthilfe und das Gruppenangebot in Uri, Schwyz und Zug aufmerksam zu machen. Ein Meilenstein wird Anfang 2025 erreicht, wenn die Klinik Zugersee für ihre Massnahmen als selbsthilfefreundliche Institution zertifiziert werden sollte. Doch damit sei das Projekt noch lange nicht abgeschlossen, betont Milena Uhlemayr: «Wichtig ist, dass es weitergeht und wir nachhaltige Veränderungen bewirken. Dies würde auch die Rezertifizierung in Zukunft sicherstellen. Prüfbar ist auch, ob es in der Triaplus AG weitere Formate gibt, in denen Selbsthilfegruppen eingebunden werden könnten.» In jedem Fall sei bei Betroffenen und ihren Angehörigen noch viel Sensibilisierungsarbeit nötig – darüber sind sich beide Projektmitglieder einig.

>> Mehr zum Konzept der Selbstwirksamkeit in der ambulanten Therapie